30. Oktober 2019
Volles Haus im Kaisersaal des Rathauses bei einer Premiere: Erstmalig hatte die SPD-Bürgerschaftsfraktion zu einer Veranstaltung mit den Vorständen der Mitgliedsvereine des Landesbundes der Gartenfreunde in Hamburg e.V. und der Bahn-Landwirtschaft Bezirk Hamburg e.V. eingeladen. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, über 200 Kleingärtnerinnen und Kleingärtner konnten eine sehr interessante Podiumsdiskussion verfolgen und sich in einer anschließenden Fragerunde aktiv beteiligen.
Nach einer launigen Begrüßung durch unseren Fraktionsvorsitzenden Dirk Kienscherf ergriff zunächst unser Erster Bürgermeister Peter Tschentscher das Wort. Eines habe er als „Sozi“ von Anfang an gelernt, nämlich sich zum einen nicht mit der Gewerkschaft anzulegen, zum anderen aber auch nicht mit den Kleingärtnern.
Gleichwohl warb Tschentscher um Verständnis, dass eine der wichtigsten Aufgabe der wachsenden Stadt Hamburg nach wie vor der Wohnungsbau sei, und zwar im Hinblick auf bezahlbare Mieten und sozialen Wohnungsbau. Trotzdem versprach er, dass die SPD die für die Gesellschaft und das soziale Miteinander wichtige Kleingartenkultur in der Stadtplanung immer mitdenken und ein starker Partner der Kleingärten bleiben werde. Wo durch Wohnungsbau Kleingärten weichen müssten, werde man immer versuchen, quartiersnahe Ausgleichsflächen zu schaffen.
Ganz wichtig sei in dem Zusammenhang der 10.000er-Vertrag, der 1967 geschlossen und vor zwei Jahren verlängert wurde. Die Vereinbarung umfasse nicht nur ein allgemeines Bekenntnis zur wichtigen ökologischen und sozialen Rolle der Kleingärten, sondern auch konkrete Regelungen bei etwaigen Verlagerungen und zur Neuordnung von Anlagen. In diesem Rahmen sei auch die Einrichtung von Fonds beschlossen worden, über die neue Lauben für die Pächter sowie eine neue, in der Regel modernere Infrastruktur finanziert werden. Die Modernisierung der Anlagen und eine Erhöhung des Standards seien wichtige Investitionen in die Zukunft der Kleingärten.
Hamburg brauche beides, bezahlbare Wohnungen und Kleingärten. Im 10.000er-Vertrag finden Stadt und Gartenfreunde gute Regelungen, wie beides zusammengeht, so unser Bürgermeister abschließend.
Anschließend stellte Frau Dr. Heike Gerth als Projekt-Leiterin die vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung beauftragten langjährigen und äußerst umfangreichen, bundesweiten Studie „Kleingärten im Wandel“ vor. Die Studie unterstreicht die wichtige soziale, ökologische und städtebauliche Funktion des Kleingartenwesen im Grün- und Freiraumsystem der Städte, verweist dabei aber auch auf die Notwendigkeit von Veränderungen, oder wie der Untertitel der Studie lautet, von „Innovationen für verdichtete Räume“.
Und „Wandel“ beutet, dass u. a. das Kleingartenwesen sich verjüngt, immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund dazukommen, die Anlagen immer mehr öffentlich zugänglich geworden sind, ökologisches Gärtnern immer mehr Gewicht erhält und insgesamt die Rolle von Kleingartenanlagen als Bestandteil der grünen Infrastruktur der Städte wächst.
Als Konsequenzen werden Maßnahmen wie z. B. kleinere Parzellen bzw. gemeinsame Parzellen genannt, aber auch eine bessere Zusammenarbeit, vor allem im Erarbeiten von zukünftigen Konzepten, zwischen Kleingärtnerorganisationen, Verwaltung und Politik.
In diesem Zusammenhang zeigt die Studie, die neben Hamburg u. a. Städte wie Jena, Hannover, Dortmund oder Regensburg untersucht hat, dass wir hier in unserer Stadt gut aufgestellt sind. In der Studie wird herausgehoben, dass hier zwar systematisch nachverdichtet werde, aber eine gesamtstädtische Strategie zugrunde läge, trotz Wachstumsdrucks und Flächenbedarfs für unterschiedliche Nutzungen die Zahl der Kleingärten zu erhalten. Als positives Beispiel wird auch die Deckelung der Autobahn A 7 in Schnelsen genannt, wo neue Kleingarten-Flächen entstehen
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion, die ich moderieren durfte, nahmen neben Frau Dr. Gerth Matthias Kock, Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Dirk Sielmann, Vorsitzender des Landesbundes der Gartenfreunde in Hamburg e. V. und Präsident des Bundesverbands Deutscher Gartenfreunde e. V. und Matthias Albrecht, Geschäftsführer der Bahn-Landwirtschaft Bezirk Hamburg e. V. Platz.
Matthias Kock, betonte in seiner Funktion als Wohnungsbaukoordinator, dass er eben nicht ein „Betonkopf“ sei, sondern „Grün“ immer mitdenke, in enger Kooperation mit allen beteiligten Akteuren eines Stadtteils oder Quartiers – und vor allen Dingen auch mit den betroffenen Kleingartenvereinen. Als Beispiel nannte Kock Oberbillwerder, wo auch aufgrund einer hohen Bürgerbeteiligung ein Stadtteil im Sinne einer verantwortungsvollen Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert entstehe, der sich an den Bedürfnissen heutiger Stadtbewohnerinnen und -bewohner orientiere – mit naturnahem Wohnen, autoarm und trotzdem mobil, architektonisch ansprechend, ökologisch vorbildlich und bezahlbar für Menschen aller Einkommensgruppen.
Dirk Sielmann verwies noch einmal auf die aus seiner Sicht existenziellen Grundlagen für das Kleingartenwesen, den 10.000er-Vertrag und das Bundeskleingartengesetz, welches immerhin schon 1919 aus der Taufe gehoben wurde und somit in diesem Jahr sein 100jähriges Jubiläum feiert.
Um dieses Gesetz vor Begehrlichkeiten zu bewahren und z. B. vor privaten Investoren zu schützen, müsse man immer am Ball bleiben und für den Fortbestand kämpfen. Solch eine Aufgabe, verbunden mit dem ständigen Austausch mit Politik und Verwaltung, könne man nicht ehrenamtlich leisten. Deshalb bedankte sich Sielmann auch noch einmal bei den Anwesenden für ihre Beiträge, die seine hauptamtliche Tätigkeit und somit auch die gute Stellung des Kleingartenwesens in Hamburg erst ermöglichen.
Mein ehemaliger Bürgerschaftskollege Matthias Albrecht schließlich hob noch einmal die soziale Funktion und die ökologische Bedeutung der Kleingärten hervor. In diesem Zusammenhang seien nicht nur die positiven Auswirkungen auf das Stadtklima wichtig, sondern auch z. B. für die Artenvielfalt. Als Beispiel nannte er ein Projekt in Eimsbüttel, mit 16 Parzellen, aber auch einer allgemeinen Wiese, die nur zweimal im Jahr gemäht werde und wo sich eine Vielzahl von Insekten angesiedelt hätten. Nicht zuletzt betonte er besonders auch den Aspekt der Integration von Flüchtlingen durch das Kleingartenwesen. Matthias fasste schön zusammen: „Den klassischen Gartenzwerg mit Glyphosat gibt es nicht mehr.“
In der abschließenden Diskussionsrunde mit dem Publikum wurde sich dann noch sehr rege und interessiert ausgetauscht, so dass die Veranstaltung eine halbe Stunde länger dauerte als ursprünglich geplant. Zahlreiche Gespräche bei kleinen Snacks und Getränken hinterher rundeten den gelungenen Abend ab.
Eine absolut wiederholenswerte Veranstaltung – Dirk Kienscherf mutmaßte, dass sich das Ganze als traditionelle Einrichtung etablieren könnte.